Die Dranginkontinenz (= Urgeinkontinenz, von englisch „urgent“) bezeichnet einen starken (imperativen) Harndrang mit ungewolltem Urinabgang. Sie stellt die häufigste Form einer Harninkontinenz dar, die man in Tröpfelinkontinenz mit einem Harnverlust von weniger als 50 ml pro Ereignis und in die Schweregrade 1 (50-100 ml pro Ereignis), 2 (100-250 ml pro Ereignis) und 3 (>250 ml pro Ereignis) einteilt.
Die Dranginkontinenz ist ein Symptomkomplex, der verschiedene Krankheitsursachen haben kann. Diese Ursachen können zum einen zu einer motorischen Dranginkontinenz führen, bei der es durch den Wegfall der zentralen Hemmung zu autonomen Kontraktionen des Austreibermuskels der Harnblase (Musculus detrusor vesicae) und damit zum ungewollten Harnverlust kommt. Dabei sind die sensorischen Impulse von der Harnblase zum ZNS nicht gesteigert. Hierfür sind in erster Linie neurologische Erkrankungen wie z. B. Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer, Rückenmarksschädigungen (z. B. Querschnittslähmung), Meningomyelozele (infolge eines unvollständigen Schluss des Neuralrohres) oder Hirntumore, aber auch Polyneuropathien im Rahmen anderer Grunderkrankungen (z. B. Diabetes) verantwortlich. Zum anderen gibt es die sogenannte sensorische Dranginkontinenz, bei der verstärkte sensorische Reize aus der Harnblase dem ZNS über einen Reflexbogen eine vermeintlich volle Blase melden, woraufhin es entsprechend reagiert wie bei einer vollen Blase. Für diese Form der Inkontinenz kommen Erkrankungen in Betracht, die die Harnblasenwand reizen wie z. B. Harnblasenentzündungen, Steine oder Tumore im Urogenitaltrakt. Insgesamt gesehen findet man jedoch nur in 20 % der Fälle eine definitive Ursache. Wenn man keine Ursache gefunden hat, bleibt als Ausschlussdiagnose die sog. „überaktive Blase“ (engl.: overactive bladder, OAB). Auch hierbei kommt es zu verstärkten sensorischen (afferenten) Signalen von der Harnblase zum ZNS.
Die Symptome bei Dranginkontinenz sind ein imperativer Harndrang und eine Pollakisurie (übermäßig häufiges Wasserlassen) mit begleitender Inkontinenz. Häufig kommt es auch zur Nykturie (nächtliches Wasserlassen). Eine Nykturie kann aber auch immer ein Hinweis auf eine Herzinsuffizienz sein. Die Ausschlussdiagnose „überaktive Blase“ kann mit oder ohne eine Inkontinenz einhergehen.
Neben der Anamnese, die einen Fragenkatalog zum Grad der Inkontinenz umfassen sollte, ist die eigentliche Diagnostik sehr aufwändig, weil viele Erkrankungen in Frage kommen. Eine orientierende neurologische Untersuchung und ein Urinstatus führen dann gegebenenfalls zu weiteren speziellen Untersuchungen.
Als nicht-medikamentöse Maßnahmen können dem Patienten ein Beckenbodentraining und Blasentraining angeraten werden. Die Erfolgsraten sind allerdings nicht so hoch wie bei der Belastungsinkontinenz. Das Beckenbodentraining sollte immer mit einem akustischen oder visuellen Biofeedback einhergehen, durch das dem Patienten die eigentlich unbewusst ablaufende Körperfunktion der Harnentleerung sicht- bzw. hörbar gemacht wird. Durch diese Signale lernt man, die entsprechende Körperfunktion bewusst wahrzunehmen und die Kontrolle darüber zurückzugewinnen. Eine weitere erfolgreiche Methode zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur ist der Einsatz eines Vaginalkonus, der als Hilfsmittel bei Inkontinenz rezeptiert werden darf. Durch ein hohes Eigengewicht des Konus sinkt er nach unten und erzeugt ein Gefühl des „Verlierens“, dem die Beckenbodenmuskulatur entgegenwirkt. Das Blasentraining beinhaltet das Führen eines Miktionsprotokolls. Die Toilettengänge werden zeitlich festgelegt und die Intervalle schrittweise um einige Minuten verlängert, bei Misserfolgen wieder verkürzt. Auf der Toilette sollte zunächst immer versucht werden, die Miktion einige Sekunden bewusst zu verzögern.
Die nicht-medikamentöse Therapie ist erfolgsversprechender, als die Behandlung mit Medikamenten. Bei einer medikamentösen Therapie ist das Mittel mit der höchsten Evidenz und daher auch Mittel der Wahl Oxybutynin. Als Alternative bei Verträglichkeitsproblemen wird das ähnlich effektive Tolterodin angesehen. Sie üben neben der anticholinergen Wirkung eine direkt relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur der Harnblase aus. Eine lokale Anwendung von Estrogenen als Creme oder Vaginaltabletten kann mangels Evidenz zu langfristigen Risiken und Nebenwirkungen nicht empfohlen werden.