Eine Hyperurikämie bezeichnet eine Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut über 6,5 mg/dl (387 µmol/l). Der Grenzwert ergibt sich aus der physikalischen Löslichkeit von Natriumurat bei 37 Grad Celsius und pH 7,4 (= physiologische Bedingungen im Körper). Sie muss nicht mit klinischen Symptomen einhergehen. Die klinische Manifestation einer Hyperurikämie ist die Gicht (Arthritis urica, im Volksmund „Zipperlein“). Sie ist eine Erkrankung des Purin-Stoffwechsels. Purine wie Adenin und Guanin spielen eine wichtige Rolle als DNA-Bausteine. Über deren Abbauprodukt Xanthin entsteht durch die Xanthinoxidase Harnsäure, eine harnpflichtige Substanz.
Beim Überschreiten der Löslichkeitsgrenze von Harnsäure im Blut fallen Harnsäurekristalle in schlecht durchbluteten Geweben aus und führen dann meist zu einem Gichtanfall, der akut schmerzhaften Manifestation der Gicht. Es handelt sich um eine rasch einsetzende Entzündung meist nur eines Gelenks (Monoarthritis in 90 % der Fälle) ohne ein vorangegangenes Trauma, die oft innerhalb weniger Stunden eine maximale entzündliche Aktivität mit den klassischen Entzündungszeichen (starke Schmerzen (dolor), Überwärmung (calor), Schwellung (tumor) und Rötung (rubor), Funktionsbeeinträchtigung (functio laesa)) hervorruft.
Typische Bezeichnungen für häufig vorkommende Gelenkentzündungen bei der akuten Gicht sind Podagra (= „Fußfessel“) oder Chiragra (= „Handfessel“). Weitere häufig betroffene Gelenke sind das Kniegelenk, Sprunggelenk, Ellenbogengelenk, Daumensattelgelenk und die Handwurzel. Bei schweren Gichtanfällen kann auch Fieber auftreten.
Der starke Entzündungsreiz im Gewebe setzt einen circulus vitiosus in Gang: Einwandernde Leukozyten (weiße Blutkörperchen) phagozytieren die Harnsäurekristalle. Die entstehenden Phagolysosomen rupturieren und führen zur Autolyse der Zelle. Der Austritt lysosomaler Enzyme verstärkt die Entzündung. Sie greifen das umliegende Gewebe an und der pH-Wert sinkt. Bei sinkendem pH sinkt allerdings auch die Löslichkeit von Harnsäure, so dass noch mehr Harnsäure auskristallisieren kann.
Gichtanfälle treten häufig nachts oder am Morgen auf. Begünstigende Faktoren sind Übergewicht und der vorangegangene Genuss von Alkohol und/oder Fleisch. Der Abbau von Alkohol erhöht im Organismus den Laktatspiegel und senkt damit den pH-Wert im Blut, so dass eine Auskristallisation von Harnsäure begünstigt wird. Weiterhin hemmt Alkohol die ADH-Ausschüttung (antidiuretisches Hormon, Vasopressin). Es kommt zu einer verstärkten Diurese mit begleitender Erhöhung der Harnsäurekonzentration in einem geringeren Plasmavolumen. Fleisch, aber auch andere Nahrung wie z. B. Hefe (in Bier!), Hülsenfrüchte (Bohnen, Linsen, Erbsen) oder Fisch sind sehr purinreich und gehören zu den externen Faktoren, die den endogenen Harnsäurespiegel erhöhen. Auch Medikamente, wie Schleifen- und Thiazid-Diuretika, können die Serumharnsäure erhöhen und sollten nur bei strenger Indikationsstellung verordnet werden. Eine Medikationsanalyse ist sinnvoll, da es sich häufig um Patienten mit Komorbiditäten handelt und bei den empfohlenen Medikamenten ein hohes Interaktionspotenzial besteht.
Die klinische Diagnose sollte die Anamnese (akuter Schmerz ohne vorhergehende Traumata), den Befund (Lokalisation, Rötung, Wärme, Schwellung, Gewebeablagerungen) und den Serumharnsäurewert umfassen. Eine weitere Diagnostik ist nur bei untypischen Fällen indiziert. Im Blut findet man eine Leukozytose (Erhöhung der weißen Blutkörperchen). Die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) ist stark erhöht. Der Harnsäurespiegel im Blut ist im Anfall nur bei einem Drittel der Patienten erhöht. Zum einen kann durch den Ausfall von Harnsäurekristallen der Spiegel bereits wieder abgesunken sein, zum anderen kann bei normalem Serum-Harnsäurespiegel lokal in schlecht durchbluteten Gewebe eine viel höhere Harnsäurekonzentration vorliegen. Eine Gelenkpunktion zum Nachweis von Uratkristallen sollte im hausärztlichen Bereich nicht durchgeführt werden. Die EULAR-Empfehlungen (european league against rheumatism) gehen jedoch dahin, bei jeder Person mit Verdacht auf Gicht eine Suche nach Uratkristallen in der Synovialflüssigkeit (Gelenkflüssigkeit) oder im Tophus-Aspirat (Plural: Tophi) durchzuführen. Tophi nennt man die sichtbaren Gewebeablagerungen von Urat im Weichteil und Knorpelgewebe. Äußerlich sichtbar sind sie, wenn sie sich in der Subcutis (Unterhaut, z. B. an der Ohrmuschel), in Sehnenscheiden oder Schleimbeuteln ablagern. Diese Gewebeablagerungen können zwar zunächst asymptomatisch bleiben, jedoch schädigen sie zum einen auf längere Sicht das Gewebe mit entsprechenden Komplikationen (siehe oben), zum anderen ist jederzeit eine Exacerbation (= akute Verschlechterung) zu einem akuten Gichtanfall möglich.
Die Prävalenz der akuten Gicht liegt bei 1-2 % der Bevölkerung und die wichtigste Differentialdiagnose beim akuten Gichtanfall ist die septische Arthritis.
Im Hinblick auf die Symptomatik bei Hyperurikämie und Gicht hat sich eine klinische Einteilung bewährt:
- Asymptomatische Gewebeablagerungen von Urat (Salze der Harnsäure)
- Akuter Gichtanfall
- Interkritische Phasen (zwischen zwei Gichtanfällen ggf. mit zunehmenden Uratablagerungen im Gewebe
- Chronische Gicht
Therapie des akuten Anfalls
Ein akuter Gichtanfall sollte schnellstmöglich medikamentös behandelt werden (innerhalb von 12-24 Stunden). Der akute Zustand kann sonst über Tage andauern und das Risiko von Langzeitfolgen erhöhen. Der Grundsatz einer schnellstmöglichen medikamentösen Therapie führt inzwischen dazu, dass man bei bekannter Gicht den Patienten darin schult, bei ersten Anzeichen eine zuvor verordnete Selbstmedikation durchzuführen.
Bei der Therapie eines akuten Gichtanfalls sind Colchicin, Glucocorticoide oder NSAR Mittel der ersten Wahl. Die Auswahl sollte aufgrund von Begleiterkrankungen, Wechselwirkungen und Kontraindikationen erfolgen.
- Am ersten Tag sollten 2 mg Colchicin gegeben werden, gefolgt von 2-3mal täglich 0,5 mg am 2. und 3. Tag. Die Höchstdosis von 6 mg pro Gichtanfall sollte nur in Ausnahmefällen überschritten werden.
- Glucocorticoide sollten über fünf Tage morgens in einer Einmaldosierung gegeben werden, die 30 mg Prednisolonäquivalenten entspricht.
- Als NSAR kann z. B. für eine Woche 2 x 500 mg Naproxen verwendet werden.
Supportiv sollte das betroffene Areal ruhiggestellt, hochgelagert und gekühlt werden.
Bei nicht ausreichender Wirksamkeit oder Kontraindikationen gegen die Wirkstoffe der ersten Wahl und bei Vorliegen von mehr als 3 Gichtanfällen pro Jahr kann eine Therapie mit Canakinumab erwogen werden.
Nach einem ersten Gichtanfall muss der Patient über mögliche Lebensstiländerungen aufgeklärt werden:
- Übergewicht sollte langsam reduziert werden. Dabei sollte die Ernährung auf purinarme Kost umgestellt, d. h. purinreiche Lebensmittel wie Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte oder (Bier-)Hefe sollen reduziert werden. Dabei sollten üppige Mahlzeiten, aber auch langes Fasten vermieden werden.
- Sofern keine Kontraindikation wie z. B. eine Herzinsuffizienz besteht, sollten mindestens 2 Liter Flüssigkeit am Tag zugeführt werden.
- Alkohol kann einen Gichtanfall auslösen (siehe oben). Daher sollte ein kompletter Verzicht auf Alkohol angestrebt werden.
- Körperliche Aktivität hilft, den Harnsäurespiegel im Blut zu senken.
Nach einem beeinträchtigenden Anfall, bei mehr als einem Anfall pro Jahr bzw. bei chronischer Gicht soll mit einer harnsäuresenkenden Therapie begonnen werden. Zielwert ist ein Serum-Harnsäurespiegel < 6 mg/dl.
Das Therapieziel ist, ein Fortschreiten der Gicht und eventuelle neue Gichtanfälle zu verhindern, eventuelle Uratablagerungen wieder aufzulösen und die Tophusbildung rückgängig zu machen. Eine erhöhte Serumharnsäure ohne Folgeerkrankung wie Gicht oder Urolithiasis stellt keine Indikation für eine medikamentöse Intervention dar. Jedoch gilt dieses Prinzip nicht bei sekundären Hyperurikämien im Rahmen einer Tumorerkrankung (z. B. Leukämien) und/oder einer Behandlung mit Zytostatika. Hier muss prophylaktisch wegen zu erwartender massiv erhöhter Harnsäurespiegel neben der eventuellen Gabe von Allopurinol mit Rasburicase oder Pegloticase, einem Enzym, das Harnsäure in deutlich besser lösliches Allantoin umwandelt, therapiert werden.
Mittel der ersten Wahl ist Allopurinol, das einschleichend dosiert und unter Kontrolle der Nierenfunktion (Creatinin-Wert) auf einen Harnsäurewert < 6,0 mg/dl eingestellt werden sollte. Bei tophöser Gicht kann ein Zielwert von < 5 mg/dl erwogen werden.
Bei Patienten mit normaler Nierenfunktion ist der Xanthinoxidase-Hemmer Allopurinol das Mittel der Wahl. Er verhindert die Umwandlung von besser löslichem Xanthin und Hypoxanthin in Harnsäure. Begonnen wird mit 100 mg Allopurinol am Tag. Die Dosis soll alle 2-4 Wochen um 100 mg auf maximal 300 mg/d gesteigert werden, bis der Harnsäurespiegel den Zielwert erreicht hat.
Wird dieser mit einer angemessenen Allopurinol-Dosis nicht erreicht, sollte von Allopurinol auf Febuxostat, einem weiteren neueren, aber auch wesentlich teureren Xanthinoxidase-Hemmer oder ein die Harnsäure-Ausscheidung erhöhendes Urikosurikum wie z. B. Benzbromaron gewechselt, oder Allopurinol mit einem Urikosurikum kombiniert werden.
Febuxostat oder ein Urikosurikum sind ebenso indiziert, wenn Allopurinol nicht toleriert wird. Bei Niereninsuffizienz ist die Dosis von Allopurinol an die Creatinin-Clearance nach unten anzupassen. Urikosurika sind nicht indiziert bei Komplikationen wie Urat-Nephropathie, Urat-Nephrolithiasis oder einer primären Hyperurikämie mit Harnsäure-Überproduktion.
Bei Patienten mit schwer einschränkender tophöser Gicht und schlechter Lebensqualität ist der Einsatz von Pegloticase indiziert, wenn der Zielwert von < 6 mg/dl Harnsäure im Blut nicht mit den o. g. Maßnahmen erreicht werden kann.
Bei kardiovaskulären Komorbiditäten sollte die Behandlung mit Allopurinol oder alternativ mit Febuxostat erfolgen.
Da gerade zu Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie erneut Gichtanfälle auftreten können (besonders in der 8. bis 12. Woche), wird für die ersten 3 bis 6 Monate eine zusätzliche Prophylaxe mit Colchicin oder mit NSAR empfohlen. Allerdings hat Colchizin derzeit keine Zulassung in dieser Indikation.