Symptomatische Anämie bei chronischer Niereninsuffizienz = Renale Anämie
Als renale Anämie bezeichnet man eine Anämie, die sich im Rahmen einer chronischen Nierenerkrankung entwickelt. Die weitaus häufigste chronische Nierenerkrankung ist die chronische Niereninsuffizienz, bei der progredient die Zahl der ursprünglich über 1 Million Glomeruli pro Niere (= Funktionseinheit der Niere) durch irreversible Schädigung vermindert wird. Die chronische Niereninsuffizienz entsteht durch einen Diabetes (ca. 30 %), Hypertonus (ca. 20 %), Glomerulopathien (ca. 15 %), interstitielle Nephritis (ca. 15 %, z. B. nach Analgetika-Abusus) oder andere, eher seltenere Erkrankungen wie z. B. Autoimmunerkrankungen oder durch angeborene Zystennieren. Die Glomeruli sind nicht nur für die Ultrafiltration und Rückresorption des Primärharns verantwortlich. In den Endothelzellen der peritubulären Kapillaren werden auch etwa 90 % des körpereigenen Erythropoetins gebildet, ein Glykoprotein, das die Bildung der Erythrozyten im Knochenmark regelt. Die restlichen 10 % des Erythropoetins werden in Gehirn, Milz, Uterus (Gebärmutter) und Hoden gebildet. So kommt es, dass bei abnehmender Zahl intakter Glomeruli auch ein Erythropoetin-Mangel entsteht, der zu einer Anämie infolge einer reduzierten Erythropoese führt. Die progrediente chronische Niereninsuffizienz führt darüber hinaus zu einem Anstieg harnpflichtiger Substanzen wie Kreatinin, Harnsäure und Harnstoff im Blut (= Urämie). Dabei ist besonders Harnstoff toxisch für Erythrozyten und die dadurch verkürzte Lebensdauer der Erythrozyten verstärkt zusätzlich die Anämie.
Mit dem Absinken der Hämoglobinkonzentration sinkt die Transportkapazität für Sauerstoff. Da der Sauerstoffbedarf des Körpers aber zunächst gleich bleibt, muss der Körper gegenregulieren, was zu Hypoxie- bzw. Anämie-bedingten Symptomen führt. Typisch sind Symptome wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit. Die Haut und Schleimhäute sind blass. Im Blutbild zeigt sich eine bei chronischen Erkrankungen typische normochrome normozytäre Anämie, d. h. der Hb-Wert liegt bei Frauen unter 11,5 g/dl, bei Männern unter 13,5 g/dl und die Erythrozyten sind normal gefärbt und normal groß (MCH. MCHC und MCV normal). Die Retikulozyten sind deutlich erniedrigt.
Die kausale Therapie besteht darin, den Erythropoetin-Mangel zu ersetzen. Ziel der Therapie sollte ein subnormaler Hb-Wert sein. Ein Anstieg des Hämoglobins von mehr als 2 g/dl über einen Zeitraum von 4 Wochen sollte vermieden werden. Dialysepflichtigen Patienten wird Erythropoetin im Rahmen der Dialyse über den venösen Zugang gegeben. Ansonsten kann Erythropoetin auch subcutan verabreicht werden, was allerdings deutlich häufiger zu immunogenen Reaktionen im Sinne einer Antikörper-Bildung gegen Erythropoetin führt.
Anämie
Eine Anämie (Blutarmut) bezeichnet einen verminderten Hämoglobingehalt des Blutes unter die altersentsprechende Norm. Laut WHO liegt dabei die gemessene Hämoglobinkonzentration < 13 g/dl bei Männern bzw. < 12 g/dl bei Frauen (= Hb-Wert). Die Einteilung von Anämien gestaltet sich schwierig.
Eine sehr grob orientierende Einteilung ist die Unterteilung in angeborene und erworbene Anämien. Angeborene Formen sind etwa die Kugelzellanämie, bei der ein genetischer Defekt der Zellmembran von Erythrozyten vorliegt oder die Hämoglobinopathien, bei denen ein genetischer Defekt zu einer Störung in der Hämoglobinsynthese führt, wie z. B. bei den Thalassämien und Sichelzellanämien. In der Regel sind die mit Arzneistoffen behandelten Anämien erworben (z. B. Eisenmangel, Folsäuremangel, etc.).
Eine andere Einteilung der Anämien richtet sich nach der Form und dem Aussehen von Erythrozyten. Hierbei wird nach Hämoglobingehalt pro Erythrozyt (hyper-, normo-, hypochrom), Größe (makro-, normo, mikrozytär) und Form der Erythrozyten (z. B. Sichelzellen, Kugelzellen) unterschieden. Eine weitere Unterteilung richtet sich nach der Regenerationsrate der Erythrozyten (Erythropoese), d. h. es wird danach geschaut, wie viele Retikulozyten (= „junge“ Erythrozyten) im Blut sind. Sind viele Retikulozyten im Blutbild, scheint der Abbau von Erythrozyten zu hoch oder ein Blutverlust vorzuliegen. Sind zu wenige Retikulozyten im Blut, ist die Bildung gestört.
Eine letzte Einteilung richtet sich nach der Ätiologie. Sie scheint im Rahmen der Wirkstoffprofile am sinnvollsten. Danach gibt es Substrat- oder Cofaktormangel wie z. B. der Eisen-, Vitamin-B12- oder Folsäuremangel. Daneben gibt es die Blutungsanämien (chronisch oder akut), renale Anämien, Anämien durch chronische Erkrankungen wie z. B. Infekte oder Tumore, Immundefektanämien, die o. g. angeborenen Anämien und weitere, eher seltene Ursachen wie z. B. Knochenmarkserkrankungen. Bei dieser Einteilung wird ersichtlich, dass eine Anämie häufig als Symptom einer anderen Grunderkrankung auftritt.
Mit dem Absinken der Hämoglobinkonzentration sinkt die Transportkapazität für Sauerstoff. Da der Sauerstoffbedarf des Körpers aber zunächst gleich bleibt, muss der Körper gegenregulieren, was zu Hypoxie- bzw. Anämie-bedingten Symptomen führt. Die Symptome eskalieren mit zunehmendem Hämoglobin-Defizit. Dabei stehen anfangs Abgeschlagenheit, Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Im weiteren Verlauf werden die Haut und Schleimhäute blass, was zuerst an der Mundschleimhaut und Augenbindehaut auffällt. Durch die Gegenregulation des Körpers kommt es zur Tachykardie und erhöhten Atemfrequenz bis hin zur Dyspnoe (subjektiv empfundene Atemnot bzw. erschwerte Atmung). Eine Herzinsuffizienz oder Angina pectoris wird hierdurch begünstigt oder verschlechtert. Auch die Hypoxie im ZNS führt zu Symptomen wie Kopfschmerzen, Ohrgeräuschen (Tinnitus), Sehstörungen, Schwindel bis hin zur Ohnmacht. Durch eine Hypoxie in den Nieren kann es zu Mikrohämaturie (erst mikroskopisch sichtbares Blut im Urin) und Proteinurie (Proteine im Urin) kommen. Akute Anämien wie z. B. durch einen massiven Blutverlust werden ab Werten unter 7 mg/dl Hämoglobin lebensbedrohlich. Dagegen kann der Körper eine lange bestehende oder eine sich langsam entwickelnde Anämie wie z. B. eine Tumor-Anämie erstaunlich gut kompensieren. So werden bei geringsten Symptomen, aber deutlich sichtbarer Blässe Hb-Werte unter 7 mg/dl toleriert.
Die Diagnostik orientiert sich zunächst an der Anamnese, bei der die o. g. Symptome beurteilt werden. Eine umfangreiche Blutuntersuchung muss in jedem Fall durchgeführt werden. Abweichungen von den unten angeführten Normalwerten machen eventuell weitere Untersuchungen notwendig (z. B. bei zu wenigen Retikulozyten eine Knochenmarksuntersuchung) oder können bereits eine adäquate Therapie einleiten:
Normalwerte
- Erythrozyten: 4,1-5,4 Mio/µl (w) bzw. 4,5-6,0 Mio/µl (m)
- Hämoglobin: 11,5-16,4 g/dl (w) bzw. 13,5-18 g/dl (m)
- MCH: 28-32 pg
- MCHC: 30-36 g/dl
- MCV: 76-88 fl
- Retikulozyten: 7-15 ‰
- Hämatokrit: 35-45 % (w) bzw. 36-48 % (m)
- Ferritin: 22-112 µg/l (w) bzw. 34-310 µg/l (m)
- Transferrin: 212-360 mg/dl
- Vitamin B12: > 300 ng/l
- Folsäure: > 2,5 ng/ml
MCH: mittlerer korpuskulärer Hämoglobingehalt
MCHC: mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration
MCV: mittleres korpuskuläres Volumen